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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Ralf Turtschi Die Bedeutung der Medien ist in Demokratien unbestritten. Aufgeklärte und mündige Leserinnen und Leser sind die Voraussetzung für die Entwicklung der Gesellschaft. Gewählte politische Vertreter, die Verfassung und Gesetzgebung, eine unabhängige Schlichtungsordnung sind das Fundament, welches unsere Rechtssicherheit bildet. Die Verfassung will die Gesellschaft ausgeglichen, gerecht, ohne Armut und mit einer gewissen Chancengleichheit für alle entwickeln. Diese kulturelle Errungenschaft entspringt der Erkenntnis, dass es eine Population weiter bringt, wenn sie sich zusammenrauft und zusammenarbeitet, als wenn jeder für sich selbst schaut. Das urdemokratische Verständnis ordnet Eigeninteressen Gesamtinteressen unter. Diese Auffassung setzt zwingend voraus, dass ein Ausgleich zwischen «arm» und «reich», zwischen «faul» und «fleissig», zwischen «gross» und «klein» geschaffen wird. Die Medien erhalten dabei die Rolle der politischen Bildung. Meinungen und Debatten aller Farben dürfen und sollen in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein garantiertes Recht, welches erst zur Meinungsbildung beiträgt. Diese Freiheit garantiert der Heilsarmee, genauso ihre Meinung kundzutun, wie dies auch politischen Parteien, Journalisten oder Konzernen gestattet ist. Demgegenüber stehen das Persönlichkeitsrecht oder die Rassismusstrafnorm, die bestimmte Grenzen setzen. In der Form von Rede und Gegenrede kann sich der Leser ein eigenes Bild von den beschriebenen Situationen machen. Ein bisschen Hickhack und die Schärfe der Wortwahl gehören zum Journalismus dazu (Stichworte halber Bundesrat, Landesverräterin). Die Karikatur (Mohammed-Karikaturen) oder Satire sind journalistische Formen, die bewusst und nadelspitz provozieren und zum Denken anregen sollen. Dass es dabei auch mal zu Missinterpretationen, zu geheuchelter oder echter Betroffenheit kommen kann, ist in diesem journalistischen Genre nicht zu vermeiden.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Meinungen zuweilen kontradiktorisch aufeinanderprallen, weil Menschen Fakten deuten und in Meinungen verpacken. Zuweilen obsiegt schon mal die Stilfrage (Merkels Frisur oder Steinbrücks Kavallerie-Rhetorik) und lenkt vom eigentlichen Inhalt ab.

Das «Werde ich überhaupt wahrgenommen?» kommt vor der Argumentation. Einige Protagonisten drängen ans mediale Licht, Politiker aller Couleur, im Gefolge die Schar des Staatsapparates, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, Konsumorganisationen, Umwelt- und Schutzverbände, selbst die Unternehmen und ihre Produkte wollen im besten Licht erscheinen. Das darf nicht ohne Reibung geschehen.

Wer die Themenführerschaft beanspruchen will, setzt professionelle Mittel ein: Lobbying, PR-Agenturen, Interessensgemeinschaften. Alle möchten ihre Partikularinteressen via Medien durchsetzen, die Einflussnahme auf die Medien steigt, man reagiert aggressiv mit Druckversuchen, Anzeigenboykott, Abostornierung oder droht damit, Druckaufträge anders zu vergeben.

Wohlwollende Berichterstattung, bewusstes Wegsehen und Nicht-Wahrhaben-Wollen werden mit Anzeigenschaltungen «belohnt». Teurer Anzeigenplatz wird zunehmend mit Gratis-PR, bezahlten Selbstdarstellungen und Showcases ersetzt, den «Homestorys» der Fachpresse.

Man kann nun die Seichtheit oder den Tiefgang in jedem einzelnen Medium begrüssen oder beklagen, der freie Markt soll ruhig spielen. Relevanz und Nutzen sind schliesslich für jeden Benutzer anders angesiedelt. So haben auch Kreuzworträtsel eine Medienberechtigung.

Welche Aufgabe erfüllen die verschiedenen Medien, wenn es darum geht, Meinungen zu bilden? Haben die Printmedien, denen Hintergrundwissen attestiert wird, genügend Kraft gegenüber dem neuen Internetboulevard, wo jeder auf Teufel komm raus selber googelt? Ist nicht gerade die Medienaufgabe das Aufgreifen, Sammeln, Gewichten, Hinterfragen, Verständlichmachen? Wie relevant und glaubwürdig sind Internetquellen?

Auf Unternehmensseite lokalisiere ich eine ungute Wachstumsmaxime mit Negativfolgen der Zersiedelung, des Verkehrs, des Ressourcenverbrauchs usw. Die gleichen Unternehmen zeigen sich mit Anzeigenwerbung sehr zurückhaltend. Sie suchen die günstigsten Kommunikations­kanäle. Geldmangel zwingt Verlage zu personellen «Optimierungsmassnahmen», mit Auswirkungen auf die Qualität. Ich orte einen Zusammenhang zwischen Wachstum, Gier, Markt- und Meinungsführerschaft und Meinungsbildung. Je weniger vielfältig die Leute informiert sind, desto einfältiger werden sie. Verträgt die Konsum- und Wegwerfgesellschaft überhaupt reflektierende Intelligenz? Welchen Einfluss hat mein iPhone auf Chinas Arbeiter bei Foxconn? Man beginnt besser gar nicht darüber nachzudenken.

Ich wünschte mir in der Fachpresse mehr Reflexion zu Googles Street View, zu Googles Datenschutz, zu Facebooks Umgang mit dem Löschen von Personendaten, zu Adobes Vorherrschaft im gesamten Publishingbereich, zu Apples App-Zensurpolitik, mit den Auswirkungen der Cloud auf unsere zukünftige Arbeitsweise.

Milliardenkonzerne werden journalistisch fortwährend hofiert, währenddem sie auf dem Anzeigenmarkt völlig fehlen.

Aufklärung und Bildungsbürgertum haben zu tun mit Geldmitteln, die heute via Kopfgebühren einseitig in die SRG und konzessionierten Radios fliessen. Der «Service Public» wird jedoch zunehmend durchs Internet übernommen, während das Schweizer Fernsehen mit volksdümmlichen Sendungen nicht geizt. Natürlich muss es für alle Zuschauer etwas darunter haben. Den richtigen Themenmix zu finden, ist die verlegerische Aufgabe. Der grosse Unterschied ist die gebührenfinanzierte «finanzielle Freiheit», mit der sich die elektronischen Medien bewegen. Diese ungleichen finanziellen Spiesse für gedruckte Medien und Radio/Fernsehen wirken in heutiger Zeit veraltet.

Nicht informierte Berufstätige sind nicht in der Lage, zu reflektieren und Pro und Kontra abzuwägen. Deswegen ist die engagierte Haltung der Medien für das Weiterkommen einer pluralistischen Gesellschaft äusserst wichtig. Es kam selten gut, wo Geld mit Medienmacht zu einer einseitigen Information führte. Die auch mal unbequeme Meinung ist wichtiger als das Stillhalten. Transparenz und Klarheit in den öffentlichen Interessensgebieten würde Verhalten ändern. Auf der beklagten Seite ist das Aushalten der Kritik ein souveränes Bekenntnis zur Medienfreiheit und zur Demokratie. Wer gegen die Meinungsäus­serungsfreiheit und die Medienfreiheit mit Beeinflussung und Druckversuchen agiert, zeigt tief in seinem Inneren ein unreifes Demokratieverständnis.

Mit dieser 71. Kolumne «Das Letzte» verabschiede ich mich, ich danke Ihnen für Ihre Treue während all der Jahre, Ihren Humor und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.